Am 7. November hat der DJ und Produzent Dennis Hurwitz ein Liveset vor der Essener Grugahalle gespielt – als Mahnwache für die Musikarbeiterinnen und Musikarbeiter, die von den erneuten Verschärfungen der Corona-Regeln seit dem 2. November betroffen sind. Der Veranstaltungsbetrieb steht seit März quasi still, die vielen Soloselbstständigen der Branche können die staatlichen Hilfen nicht nutzen. Im Juni machte die Initiative "Alarmstufe Rot" mit ersten groß angelegten Aktionen darauf aufmerksam, es folgten Demos oder, wie im Fall von Hurwitz, DJ-Sets. Es könnte keinen passenderen Zeitpunkt für die Veröffentlichung von "Fuser" geben.
In dem neuen Spiel von Harmonix soll man als DJ oder DJane auf einem fiktiven Festival 100 Songs aus Genres wie Pop, R&B, Rock und Dance zu einem durchgängigen Mix kombinieren, Publikumswünsche erfüllen und in Echtzeit Mash-ups kreieren.
Das klingt erst mal authentisch, hat in der Praxis aber kaum etwas mit einem echten Festivalbesuch zu tun. Für Daniel Sussmann muss "Fuser" das aber auch nicht leisten. Der Produktmanager und Musiker ist seit 2001 bei Harmonix tätig. "Natürlich soll "Fuser" keine Festivals ersetzen", erklärt er. "Wir wollen eine Ergänzung zum Liveerlebnis bieten. Wie Livemusik präsentiert wird, ist konstant im Fluss, gerade digital. Für viele ist ein Konzertstream in 'Fortnite' vielleicht die erste Liveerfahrung. In diese Kerbe wollen wir auch mit 'Fuser' schlagen."
Die Rückkehr der virtuellen DJ-Kultur
Mit diesem Ansatz trifft "Fuser" einen Nerv. Die Remix-Kultur mit ihren Memes und Mash-ups gehört 2020 zum Alltag der netzaffinen jungen Zielgruppe. Das war nicht immer so. Als 2009 mit "DJ Hero" das erste virtuelle DJ-Spiel explizit für den westlichen Markt erscheint, bleibt es trotz innovativen Konzepts hinter den Erwartungen zurück. Im ersten Monat ging der Titel in den USA nur knapp 100.000 Mal über den Ladentisch. Zum Vergleich: "Rock Band 2", das 2008 erscheint, setzte im ersten Monat mehr als 300.000 Einheiten ab, von "Guitar Hero World Tour" wurden schon in der ersten Veröffentlichungswoche im Oktober 2008 mehr als 500.000 Exemplare verkauft. Ende der Nullerjahre waren Plastikgitarren noch mehr angesagt als Plattenspieler.
Der Neuanfang mit "Fuser" scheint zum richtigen Zeitpunkt zu kommen. Auch, weil die Einstiegshürde jetzt niedriger liegt. Anders als zum Beispiel in der "Rock Band"-Reihe, die auch von Harmonix entwickelt wurde, kommt "Fuser" komplett ohne zusätzliche Geräte aus. Alles, was man benötigt, sind Maus und Tastatur am PC, das Gamepad der Xbox oder Playstation oder die Joycons der Switch.
Auch die Lernkurve im Spiel selbst ist angenehm flach. Im Kampagnenmodus bekommt man alle wichtigen Fähigkeiten für die virtuelle DJ-Karriere Stück für Stück von Mentorinnen und Mentoren vermittelt, zusammengehalten von einer eher platten Story, in der sich der Avatar der Spielerin oder des Spielers auf einem fiktiven Festival von Bühne zu Bühne hocharbeitet.
Vor jedem Set stellt man einen Plattenkoffer mit Songs von Künstlerinnen und Künstlern wie Donna Summer, The Clash, Paul Van Dyk, Billie Eilish oder Migos zusammen, wählt Pyro-Effekte und die Bespielung der Hintergrund-Screens auf der Bühne aus, gestaltet mit Glitzer, Motorradhelm, bunten Leggings oder Tattoos einen individuellen, geschlechtsunabhängigen Look für seinen Charakter.
"Fuser" setzt auf Individualität
Die ausgewählten Songs werden jeweils in vier Samples unterteilt, die man per Knopfdruck auf einem von vier Plätzen am unteren Bildschirmrand ablegen kann. So lässt sich beispielsweise der Basslauf von "Rock The Casbah" mit dem Drumbeat von "In Da Club" und dem Gesang von "Never Gonna Give You Up" kombinieren.
Im späteren Verlauf der Kampagne schaltet man weitere Anpassungsmöglichkeiten wie virtuelle Instrumente oder Tempoänderungen frei. Je mehr dieser Anpassungen verfügbar sind, desto komplexer wird das Spiel und desto weniger bekommt man vom Geschehen auf und vor der Bühne mit, weil das Mixen im Takt volle Konzentration erfordert. Highscores erreicht man nur mit viel Übung.
In der Praxis klingen die Mixes ab und an etwas schräg, wenn beispielsweise Rick Astleys Gesang auf einmal viel langsamer und einige Oktaven tiefer aus den Boxen tönt. In den meisten Fällen hören sich die Mashups aber erstaunlich gut an, besonders wenn man die jeweiligen Teile im Takt und zu passenden Zeitpunkten platziert. Dafür erhält man Extrapunkte und holt das Publikum auf seine Seite. Je abwechslungsreicher der Mix ist, desto mehr Style- und Musik-Tokens erhält man. Damit kann man neue Songs und Outfits freischalten und seinen Auftritt noch mehr nach seinem persönlichen Geschmack gestalten. Dieser Fokus auf Individualität statt Nachahmung zieht sich durch das ganze Spiel.
Ein soziales Netzwerk für Hobby-DJs
"Fuser" ist ein Spiel für Menschen, die ihren Stil ausleben und das Ergebnis mit ihren Freundinnen und Freunden teilen wollen", sagt Manager Sussmann. Entsprechend wichtig sei Harmonix die soziale Komponente. Im Freestyle-Modus können eigene Mixes aufgenommen und geteilt werden, man kann anderen DJs und DJanes folgen und sich zum gemeinsamen Mixen verabreden.
Anders als bei relativ Livestreams über Twitch & Co., sollen die Spielerinnen und Spieler hier selbst aktiv werden. Entsprechend setzt Harmonix große Hoffnung auf den Mehrspielerteil. Nach Angaben des Unternehmens ist der Kampagnenmodus lediglich als Training gedacht. Früher oder später soll das Spiel zu einem musikalischen sozialen Netzwerk werden, in dem sich Gleichgesinnte austauschen.
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